Job & Studium
Wie das Studium über 40 die Karriere fördert

Zertifikate hatte Anton Quinsten irgendwann genug, er wollte mehr. Für seinen Beruf hatte der Medizinische Technologe für Radiologie (MTR) am Universitätsklinikum Essen nicht studieren müssen. Er wollte aber gern in die Forschung gehen. Also beschloss Quinsten, mit 45 Jahren ein berufsbegleitendes Studium zu wagen. Es war bloß der Anfang. Auf den Bachelor folgte der Master und gerade promoviert er zur Künstlichen Intelligenz in der Medizin.
Quinsten kann Gleichaltrigen den Gang an die Universität nur wärmstens empfehlen: „Die Neuerungen kommen immer in kürzeren Abständen.“ Daher müssen wir uns durch Fort- und Weiterbildungen auf dem aktuellen Stand halten“, sagt er mit Blick auf seinen Beruf. Doch das gilt genauso für viele andere Branchen. Seinen Chef musste Quinsten jedenfalls nicht davon überzeugen, neben dem Vollzeitjob noch ein Studium zu beginnen. „Er hat mich unterstützt“, erinnert sich der Medizintechniker.
Studieren mit über 40
So viel Glück haben bei weitem nicht alle Menschen, die sich mehr als 20 Jahre nach dem Abitur noch einmal in den Hörsaal wagen. Trotzdem steigt in den vergangenen Jahren das Interesse, wie Berufsberaterin Antje Bromm von der Agentur für Arbeit in Hamburg feststellt. Denn ein (zusätzlicher) Hochschulabschluss verspreche gerade in schwierigen Zeiten finanzielle Sicherheit. An der Fernuniversität in Hagen bringt mehr als die Hälfte der Studenten und Studentinnen bereits einen akademischen Abschluss mit, wie Studienberaterin Dorothee Schulze berichtet.
Für die meisten Berufstätigen ist eine Fernuni die einfachste Wahl. Und kostet trotzdem viel Zeit und viele Nerven, ist also eine echte Verpflichtung. Etwa drei bis sechs Jahre sollten laut Bromm für ein Bachelor- oder Masterstudium in Teilzeit veranschlagt werden. Preise bis zu rund 30.000 Euro seien möglich, plus eventuelle Reisekosten für Präsenzphasen bei einem Onlinestudium oder Ausgaben für Lehrmaterial oder die technische Ausstattung. An der Fernuni Hagen kostet ein Master etwa 700 bis 1800 Euro und ein Bachelor 2000 bis 2700 Euro.
Für Arbeitgeber lohnt es sich, die Ambitionen der Beschäftigten zu unterstützen: Du studierst, ich trage einige Kosten mit. Dafür bleibst du in meinem Betrieb – so könne die Abmachung gelten, sagt Bromm. Ähnlich lief es bei Quinsten. Sein Chef unterstützte ihn nicht nur finanziell, sondern gewährte ihm auch die Zeit fürs Studium. Gerade in den ersten zwei Semestern sei es wichtig, Angestellte auch mal freizustellen, sagt Berufsberater Cornelius Hahn von der Arbeitsagentur Hamburg. Die Wochenarbeitszeit um 20 bis 30 Prozent zu reduzieren, sei gängig. Ebenso wie längere Auszeiten vor Prüfungen oder Abschlussarbeiten. Schließlich müsse man sich so lange nach Schule und Erststudium wieder an das Lernen gewöhnen, so seine Beobachtung.
Da künstliche Intelligenz in seinem Bereich immer wichtiger wurde, hatte sich Quinsten bereits zum IT-Administrator fortgebildet. Dann schrieb er sich an der privaten Essener Hochschule FOM für Wirtschaftsinformatik ein. Er war der älteste, aber nicht der einzige Student über 40.
Berufsbegleitendes Studium: Das ist wichtig
Das Lernen an sich fiel dem damals 45-Jährigen leicht, da er sich auch im Job ständig neues Wissen aneignen musste. Zeitlich sah es anders aus. „Es war aufwändiger als gedacht“, erinnert er sich. Dreimal pro Woche habe er von 18 bis 21.30 Uhr in Seminaren gesessen, ein bis zwei Samstage pro Monat seien ebenfalls fürs Studium reserviert gewesen. Seine Bilanz: „Es war neben Familie und Beruf eine Herausforderung.“
Doch die hat sich für Quinsten gelohnt. Zwar ändert sich formell nichts an seiner aktuellen Position am Uniklinikum durch das Studium. Quinstens Berufsweg bekam durch das Studium jedoch eine neue Qualität. Seit dem Studienbeginn 2019 hängte er den Master in Big Data und Businessanalytics dran, schrieb ein Fachbuch und promoviert nun.
Wen ein berufsbegleitendes Studium reizt, sollte sich laut dem Berufsberater Hahn unter anderem diese Fragen stellen:
Dient das Studium dem aktuellen Beruf und bin ich bereit, mehr Leistung zu erbringen? Ist die Finanzierung gesichert? Habe ich eine feste Zeit, in der ich mich dem Studium widmen kann? Gibt es Stoßzeiten im Job, die problematisch werden könnten (Jahresabschluss oder Projektphasen beispielsweise)? Bin ich bereit, meine Zeit für Familie oder Hobbys für das Studium einzuschränken? An wen wende ich mich, wenn es Schwierigkeiten gibt?
Ein Studium 40+ muss kein Sprung in eine gänzlich neue Disziplin sein. An der Fernuni Hagen können gerade ältere Studenten ihr Wissen aus Unizeiten etwa in den Bereichen Mathematik oder Statistik in Vorbereitungskursen auffrischen. Seminare zu Zeitmanagement und Arbeitstechniken ergänzen das reguläre Lehrangebot. Interessenten können sich zudem individuell beraten lassen, welche Fachrichtung es sein sollte und ob sich ein Studium tatsächlich für sie lohnt – ob an der Hochschule selbst oder bei der Arbeitsagentur.
Welches Pensum ist realistisch?
Bei solch einer Beratung sollte nämlich auch geklärt werden, ob nicht doch ein Weiterbildungslehrgang mit Zertifikat ausreicht oder sogar besser geeignet ist. Vielen Arbeitgebern gehe es in erster Linie um die Fähigkeiten und weniger um den Abschluss, so Bromms Beobachtung. Eine kleinere Fortbildung eigne sich deshalb auch als Test, ob das Lernpensum eines Studiums überhaupt realistisch ist. Vorab sollte zudem geklärt werden, was mit dem Studium überhaupt erreicht werden soll: Eine fundierte Basis für den aktuellen Job schaffen oder gar ein Branchenwechsel? „Manchmal geht es auch einfach darum, sich persönlich weiterzuentwickeln“, hat Beraterin Schulze festgestellt.
Quinsten will in seinem Beruf bleiben, aber auch helfen, diesen weiterzuentwickeln. Durch das Studium habe er sich zu einem Exoten fortgebildet, sagt der Wissenschaftler. Die Kombination aus Medizintechnik und künstlicher Intelligenz werde für Firmen aus seinem Fachbereich immer interessanter und praktische Erfahrung sei besonders nachgefragt. Auch dank seines späten Studiums ist er überzeugt: „In unserem Beruf wird es nie langweilig.“
